Frankfurt Marathon

Von häßlichen Schuhen und einem Mülleimer - Bericht vom Frankfurt-Marathon 2019
(Bericht und Fotos: Stephan Ritter)

Pink. Prinzessin-Lillifee-Pink. 20 Minuten vor dem Start des Frankfurt-Marathons sitze ich auf der Bordsteinkante ziemlich weit vorne im ersten Startblock und sehe jede Menge pinkne Laufschuhe. Und neon-grüne. Und schreiend orangene. Alle von Nike. Deren Designer haben wohl irgendeine Farbstörung. Die Elite macht sich vor mir warm. Auch in pinknen Laufschuhen. Die letzten 2 Jahre habe ich die Nike Vaporfly Schuhe als Hype weitgehend ignoriert, aber spätestens seit Brigid Kosgei vor 2 Wochen in Chicago den Uralt-Marathon-Weltrekord von Paula Radcliffe nahezu aus dem Nichts um mehr als einen Minute verbessert hat, ist offensichtlich, dass diese Schuhe nicht nur teurer, sondern auch schneller sind als die der Konkurrenz. Mehr als die Hälfte der Sub-3-Läufer um mich rum haben sie an den Füßen. Und da es meinen geliebten Asics Racer nicht mehr gibt und mir die Adidas Adios zu instabil sind, habe ich jetzt auch pinkne Laufschuhe.

Endlich der Startschuss. Ich bin relativ schnell über die Startlinie und kann ziemlich unbedrängt loslaufen. Es ist bedeckt und etwa 13 Grad, von Wind ist erstmal so gut wie nichts zu spüren, gute Bedingungen. Das Tempo fühlt sich prima an, die Garmin schätzt nach der ersten Kurve 4:16. Doch bei Kilometer 1 zeigt die Uhr 4:02. Das ist viel zu schnell! GPS kann man in Frankfurt zwischen den Hochhäusern einfach vergessen. Schön, das sich das so locker angefühlt hat, aber jetzt langsamer laufen! Der nächste ist 4:16. Zu langsam. Über die nächsten Kilometer finde ich ein gleichmäßiges Tempo zwischen 4:08 und 4:12. In Frankfurt läuft man die ersten 12 Kilometer ja immer wieder in die Innenstadt rein und raus und hat viele 90-Grad-Kurven, weshalb es nicht einfach ist, einen guten Rhythmus zu finden. Das Schwierige in der ersten Hälfte ist ja, immer schön vorsichtig und entspannt, aber schnell zu laufen und nicht zu pushen. 2 Sekunden pro Kilometer auf der ersten Hälfte zu schnell und 3 Monate Marathontraining sind am Ende für die Tonne.


Bei Kilometer 7 habe ich plötzlich Durst. Seltsam, ich habe wirklich genug getrunken und wäre vor dem Start am liebsten nochmal kurz austreten. Und kaum hat sich dieses Gefühl verflüchtigt, habe ich Durst. Egal, locker bleiben. Bei Kilometer 10 drücke ich mir das erste Gel rein und greife mir einen Becher Wasser. Kurz darauf schmerzt plötzlich der Beinheber-Muskel am linken Oberschenkel. Na super! Bis vor 2 Wochen wusste ich noch nichts von der Existenz dieses Muskels. Dann meldete er sich plötzlich bei ein paar in einen lockeren Trainingslauf eingestreuten Sprints. Ah, der Psoas Major, sagte der Physio ein paar Tage später trocken und fing sofort an, den Triggerpunkt zu quälen. Das hatte dann geholfen, aber ausgerechnet jetzt droht der Psoas Major damit ganz zuzumachen. Kein Grund zur Panik, ich kenn das, irgendein Muskel beschwert sich gerne mal so früh im Rennen. Ich laufe ein paar Schritte vorsichtiger und noch lockerer und nach 100 Metern hat sich der Muskel wieder beruhigt.


Eine Stunde später: Es geht in Höchst die leichte Steigung hoch. Bald muss mein Lieblings-Mülleimer kommen. Er hängt kurz vor Kilometer 27 an der Ecke zur Kasinostraße und ist für mich immer die gefühlte Hälfte. Wenn es mir da noch richtig gut geht, kann ich vorsichtig Gas geben. Aber im Moment habe ich leichte Seitenstechen. Ich habe schon 3 Gels intus plus Wasser oder Iso dazu. Der Körper braucht so viele Kohlenhydrate unterwegs, wie er aufnehmen kann, Magen und Darm müssen schon auch was arbeiten, und da balanciert man ziemlich an der Grenze. Seit etwa 12 Kilometern haben wir meistens Gegenwind. In Böen ganz schön heftig. Das Feld ist nicht mehr so dicht, man muss immer wieder aufpassen, dass man nicht ganz alleine läuft. Es hat angefangen leicht zu regnen und ist empfindlich kühl und feucht jetzt. Die Kilometerzeiten gingen 2, 3 Sekunden hoch. Das war ok gegen den Wind. Nicht pushen so früh, müde wird man hinten raus von ganz alleine. Die Schwanheimer Brücke hoch war easy, irgendwie stehen die Kilometerschilder heute nicht so weit auseinander wie sonst.

Nach dem Mülleimer und dem Kilometer-27-Schild geht es zurück Richtung City. Es geht leicht bergab. 4:03 für Kilometer 28. Das sieht doch gut aus. Die Seitenstechen sind weg. Bei Kilometer 30 auf die Mainzer Landstraße hoch. Ich bin etwa 10 Sekunden unter Plan A. Und der sieht vor, unter 2:57 zu bleiben und somit Bestzeit zu laufen. Das sind im Schnitt 4:11,7 pro Kilometer. Klingt vermessen! Aber jetzt geht es erstmal 4 Kilometer schnurgerade aus. Und das mit Rückenwind. (Alte Läuferregel: Wenn du keinen Gegenwind spürst, hast du Rückenwind). Ich überhole immer mehr Läufer. Der Schritt ist noch schön lang und hoch. Das Gefühl ist der Hammer. Die Kilometerzeiten liegen so um 4:08. Nur Fliegen ist schöner. Schade, dass das irgendwann aufhören wird. Hoffentlich nicht so bald.

Bei Kilometer 34 sind wir in der Stadt zurück und es geht Richtung Europaviertel mit der Riesen-U-Bahn-Baustelle, da wird die U5 weitergebaut, die haben unter unserem Hotelfenster die ganze Nacht durchgearbeitet. Am Verpflegungsstand noch ein Gel greifen, aufreißen, reindrücken und noch was zu trinken greifen. Bei Kilometer 35 bin ich etwa 20 Sekunden unter Plan. Der Plan sieht vor, jetzt „nur noch“ im 4:15er Tempo heimzulaufen, selbst mit einem 4:30er Tempo bliebe ich noch dicke unter 3 Stunden. Prima. Hier muss irgendwo meine Frau stehen. Da ist sie, kurz gewinkt und weiter Richtung Innenstadt. Hinter der Festhalle lang, und dann an der nächsten Riesen-Baustelle vorbei. Da steht das Schild für Kilometer 36: 4:22. Das ist zu langsam. Oh yeah, geht es jetzt dahin? Ich kann das Tempo nicht mehr wirklich steuern, das Gefühl zu fliegen ist weg, ich fühl mich aber noch gar nicht so langsam und fertig, wie die Uhr sagt. Der Wind kommt jetzt aus allen möglichen Richtungen, den Frankfurter Hochhäusern sei Dank. Nochmal auf die Mainzer Landstraße, zur alten Oper hoch. Die spärlichen Läufer, die uns entgegen kommen, sind auf dem letzten Kilometer und dann unter 2:40 im Ziel.

Kilometer 38 zwischen den Bankentürmen. 3:56 sagt die Uhr. Wie bitte? Ok, Jungs, ich bin doch jetzt nicht soviel schneller geworden und die um mich rum auch nicht, da stand ja wohl eher ein Kilometerschild falsch, und zwar vermutlich das eben an der Baustelle, vielen Dank auch. Nicht nachdenken, einfach weiter durch die verwinkelte Frankfurter Innenstadt. Die Straßen sind nass und rutschig. Kilometer 38 in 4:16: geht doch! Also weiter Plan A. Ich reiß das Armband mit den Zwischenzeiten vom Handgelenk und werfe es weg, ich kann das jetzt eh nicht mehr lesen. Mein hinterer linker Oberschenkel meldet sich: „Wenn du so schnell weiter läufst, krieg ich einen Krampf“. Es ist immer noch nass und kühl. Na gut, lauf ich halt ein wenig vorsichtiger. Kilometer 39 in 4:19. Ich schieb mir noch ein letztes Gel rein und lass soviel wie möglich davon im Mund. Früher kam ich mit weniger Gels aus, ob das am Alter liegt? Ein letztes Mal die enge Kurve um den Eschenheimer Turm. Bloß nicht ausrutschen. Nochmal einen Becher Wasser greifen und zwei Schluck trinken.

Da kommt der Knick in die Fressgasse, dann ein paar Hundert Meter nasses Kopfsteinpflaster. Ideal zur Lockerung der Beine (kleiner Scherz). Vorsicht, bloß nicht umknicken oder stolpern. Ich habe mich erst am Dienstagabend aus purer Blödheit beim Laufen im Dunkeln abgelegt und mir Knie, Hände und Kinn ordentlich abgeschürft. Mit langen Schritten laufe ich wie auf Eiern und hoffe, das jetzt kein Muskel anfängt rumzuzicken. Hier lasse ich immer ein paar Sekunden liegen, aber lieber keinen Krampf riskieren. Der Oberschenkel links hinten mag nicht mehr, aber hält.

Die Uhr, die bei Kilometer 40 neben der Strecke steht, zeigt 2:47:30. Jetzt mal rechnen. Minus die 12, 13 Sekunden Netto zu Brutto. Ok, ich kann jetzt in 10 Minuten locker heimlaufen, dann bleibe ich knapp über Bestzeit. Aber das reicht mir nicht. Eine 2:56 will ich jetzt schon. „THIS IS YOUR DAY“ steht hier auf zig Plakaten. Also. Weiter vorsichtig übers Kopfsteinpflaster, danach anziehen und an der alten Oper vorbei


Die Mainzer Landstraße ein letztes Mal runter. Pushen, aber vorsichtig. Wo bleibt denn das Schild von Kilometer 41? Luft habe ich noch, auch sonst geht’s mir ganz gut für so kurz vor Schluss. Die Waden sind nicht zu wie sonst immer nach Kilometer 40, dank dieser komischen, hässlichen Schuhe. 4:20 für Kilometer 41. Das kann doch noch knapp werden. Na los, ein lumpiger Kilometer noch. Vor 3 Wochen beim HM warst du doch mehr am Anschlag! Um die Ecke auf die Zielgerade. Und was erwartet uns da?

Heftiger Gegenwind. Scheiß drauf, Gas geben. Eine gelbe Markierung quer über die Straße. 2:04 zeigt die Uhr. Na, das ist ja nett. Die haben wohl tatsächlich Kilometer 41,5 markiert. Das hatte ich dem Orgateam vor ein paar Wochen per Mail vorgeschlagen. Damit ist jetzt klar: das wird ne 2:56 und ich kann mich entspannen. Noch paar Läufer überholen und immer auf den Mann mit dem Hammer zu, da ist Kilometer 42. 4:01. Super, schnellster Kilometer heute.


Die 2 Kurven Richtung Festhalle.


Irgendwas unter 2:56:30 zeigt die Uhr über der Ziellinie, als ich in die Festhalle einlaufe. Das reicht dicke und ich genieße die letzten paar Meter.

2:56:23 sind es dann netto. Ich freu mich wie ein Schneekönig. Unter 4:11 ist das im Schnitt pro Kilometer. HM war ich in 1:28:07 durch, somit habe ich für die 2. Hälfte 1:28:16 gebraucht. Fast gleiche Splits, super.

Meine bisherige Bestzeit von 2:57:11 habe ich 2014 in Berlin bei idealen Bedingungen aufgestellt. Frankfurt ist etwas langsamer als Berlin, vielleicht eine halbe Minute, es hat einfach mehr enge Kurven und mehr Pfalster. Und die Bedingungen waren heute gut, aber wegen Wind und Regen nicht so gut wie damals. Ich bin jetzt 54 und werde mit dem Alter nun mal nicht schneller. Ich habe das gleiche Trainingsprogramm abgespult wie die letzten Jahre, die Key Workouts ungefähr im selben Tempo wie zuvor. Ich bin fast jedes Jahr seit 2014 konsistent einen Marathon in 2:57 oder 2:58 niedrig gelaufen. Das einzige, was heute wesentlich anders war als die letzten Male, sind die Schuhe. Für 2 Sekunden pro Kilometer waren die wohl gut. Vieleicht auch für 3. Oder einen. Nike behauptet, den Energieaufwand beim Laufen im Labor um etwa 5% zu verbessern mit diesen Schuhen, das wären bei meinem Tempo etwa 7 bis 12 Sekunden pro Kilometer, für 42 Kilometer somit 5 bis 8 Minuten. Das kann ich für einen Straßenmarathon nicht bestätigen, 5 Minuten sind ne ganz andere Hausnummer.

Wie auch immer: Das war mein 6. Marathon in Frankfurt (übrigens bestens organisiert wie immer). Ich in 17 Jahren 17 Marathons gelaufen. Die ersten beiden dank Armin 2003 und 2004 in Köln in 3:44 und 3:43, danach drei in 3:24 bis 3:14, die letzten zwölf dann alle um die 3 Stunden, davon sieben sub3: einmal 2:59, zweimal 2:58, dreimal 2:57 und jetzt 2:56. Ich habe es immer an die Startlinie geschafft (schwierig) und immer ins Ziel (auch nicht einfach). Ich war bei 2 Weltrekordrennen in Berlin dabei, habe unterwegs viel Schönes erlebt und gesehen und meine Ziele meistens erreicht. Was will man mehr? Man soll ja aufhören, wenn es am schönsten ist.

Also: Es ist Zeit für mich, mit Marathon aufzuhören (zumindest erstmal). Ich werde nun mal nicht jünger. In den gut 3 Monaten Marathontraining ziept und zwickt und schmerzt es jedes Jahr ein bisschen mehr. Und es ist nun mal so, dass der Mensch ganz gut schnell laufen kann. Oder gut lange laufen (wie Ursel und Rudolf ja immer wieder zeigen). Aber als Mann Marathon unter 3 oder 3,5 Stunden heißt lang und schnell laufen. Und dafür ist der Mensch nicht wirklich gemacht, sonst bräuchte es ja keine 3 Monate Vorbereitung mit etlichen langen Läufen, Tempodauerläufen, Intervalltraining etc. Doch lange Läufe habe ich in meinem Leben erstmal genug gemacht. Halbmarathon ist ja auch ganz schön. Oder 10-Kilometer-Rennen. Da kann ich mir morgens immer noch überlegen, ob ich starte, und muss nie länger als 2 Stunden trainieren

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